Interview mit dem MCAS-KI-Studien-Initiator Prof. Dr. Buchkremer
27 Nov 2020MCAS Hope e.V.: Herr Prof. Buchkremer, erst einmal vielen Dank, dass Sie sich Zeit für dieses Interview nehmen. Haben Sie Lust, uns etwas über Ihren beruflichen Werdegang zu erzählen?
Herr Prof. Buchkremer: Gern.
Schon sehr früh haben mich die Chemie im Körper, die Entstehung von Krankheiten und das Altern interessiert. Daher studierte ich Chemie mit den Schwerpunkten Biochemie und Quantenchemie an der Ruhr-Universität in Bochum (RUB). Fasziniert von der Kombination Medizin/Computer bewarb ich mich anschließend an der State University of New York in Binghamton um ein Stipendium bei Professor Brinker. Er bot mir die Möglichkeit, reaktive Zwischenstufen (sog. freie Radikale) innerhalb von Enzymmodellen zu berechnen und im Labor zu generieren.
Das waren eigentlich die Basiselemente für meinen beruflichen Werdegang: Der Computer, die Naturwissenschaften, die Lehre und die Forschung.
MACS Hope e.V.: Nun sind Sie wieder nach Deutschland zurückgekehrt! Hatten Sie Pläne, in den USA zu bleiben?
Herr Prof. Buchkremer: Ja, die hatte ich. Meine berufliche Entwicklung verlief nicht so, wie ich es beabsichtigt hatte. Eine Einladung an die UCLA von Professor Donald J. Cram konnte ich nicht annehmen, da bürokratische Gründe dagegensprachen, aber das ist eine andere Geschichte.
Zurück in Deutschland war ich zunächst arbeitslos. Die Empfehlungen des Arbeits- bzw. Sozialamts sagten mir nicht zu, denn ich wollte nicht als Reinigungskraft in Parks oder als Hilfskraft auf dem Bau arbeiten (obwohl ich es eine Weile gemacht hatte).
Ich gründete ein Unternehmen und startete mit dem Firmensitz in meinem ehemaligen Kinderzimmer in der Wohnung meiner Eltern. Das Unternehmen nannte sich RIV (Research und Informationsvermittlung).
MCAS Hope e.V.: Das ist kaum zu glauben. Wie ging es dann weiter?
Ich setze Fähigkeiten ein, die ich in New York kennengelernt hatte. Mit dem Computer konnte ich das weltweit verfügbare Wissen mit Künstlicher Intelligenz durchsuchen. Argwöhnische Zeitgenossen bezeichneten mich als „Hacker“. Ich achtete jedoch stets darauf, dass alles legal und ethisch vertretbar bleibt.
Nach zwei Jahren überredete mich ein Healthcare-Großunternehmen, die Tätigkeit exklusiv für das Unternehmen weiter zu führen – gleich als Abteilungsleiter – unterstützt durch weitere 20 „Hacker“. Der Hauptfokus lag auf der Suche nach medizinischen Informationen: Patente, Literatur, Gesetzestexte und Richtlinien.
MCAS Hope e.V.: Wie sind Sie dazu gekommen, Ihre Kenntnisse über die künstliche Intelligenz mit medizinisch ungeklärten Fragen auch privat einzusetzen?
Herr Prof. Buchkremer: Alles begann mit einem Problem in meinem privaten Umfeld. Mein Cousin erkrankte plötzlich schwer und die Ärztinnen und Ärzte gaben ihm keine fünf Jahre mehr. Er war gerade erst 30 und wollte nicht akzeptieren, dass es keine medizinische Lösung für ihn gibt.
Mit der Unterstützung des Hausarztes und durch den Einsatz von KI konnten wir eine Lösung finden. Tatsächlich schickten wir ihn zu einer Operation in die Vereinigten Staaten von Amerika und dort wurde seine komplette Aorta ausgetauscht. Während der sehr aufwendigen OP war ich in telefonischem Kontakt mit dem Chefarzt, Dr. Charles Acher.
Das ist nun fast 30 Jahre her und mein Cousin erfreut sich bis heute bester Gesundheit. Das war mein erster „Fall“ und ich setzte bereits KI ein.
MCAS Hope e.V.: Können Sie uns den Bereich der KI etwas näher erklären? Was ist so besonders daran? Wir sind ja alle keine IT-Experten.
Herr Prof. Buchkremer: Mit KI bezeichnen wir kognitive Fähigkeiten, die wir bei Ausübung exklusiv den Menschen zuordnen. Diese Fähigkeiten beschreiben wir mit „künstlich“, sobald sie nicht von Menschen ausgeübt wird. In diesem Fall ist es das „Lesen“, das zur Intelligenz führt.
Schon damals wurde derart viel veröffentlicht, dass normale Menschen das nicht mehr lesen und verarbeiten können. In der Fachsprache bezeichnen wir diese KI-Technik mit NLP, das steht für „Natural Language Processing“.
MCAS Hope e.V.: Es gab also damals schon KI? Aus den Medien gewinne ich den Eindruck, dass es sich bei KI um etwas Modernes handelt, das es erst seit ein paar Jahren gibt.
Herr Prof. Buchkremer: Nein – KI war schon viel früher populär. Alan Turing, ein Wissenschaftler, nach dem der „Nobelpreis für IT“ („Turing Award“) benannt ist, wurde dadurch in den 30er Jahren berühmt.
Die Besonderheiten der Sprache und des Lesens wurden durch Ramon Llull im zwölften Jahrhundert beschrieben. Er warnte, dass Menschen besonders vorsichtig sein sollten, wenn ihr Gegenüber eine „eigene“ Sprache verwendet.
Wenn ich medizinische oder naturwissenschaftliche Informationen verstehen möchte, muss ich die besondere Sprache verstehen und damit das vorhandene Wissen durchsuchen. Das ist aber häufig die Suche nach der so genannten Nadel im Heuhaufen. Nehmen wir MCAS: Allein in diesem Jahr sind mehr als 1.000 wissenschaftliche Fachartikel über Mastzellen erschienen.
MCAS Hope e.V.: Vielen Dank für Ihre bisherigen Antworten. Sie haben einmal gesagt, dass es ihr „Hobby“ ist, schwer erkrankten Menschen zu helfen. Wie ist es zu diesem ungewöhnlichen Hobby gekommen?
Herr Prof. Buchkremer: Das ist eine gute Frage. Es ist meine Neugier, an ungelösten bzw. unlösbar erscheinenden Rätseln zu arbeiten und der Wille bzw. der Wunsch, kranken Menschen zu helfen, gerade wenn die Krankheit als unheilbar gilt.
Anfänglich tat ich dies nur für gute Freunde und Angehörige, aber es hatte sich herumgesprochen und ich bekam immer mehr Anfragen mit unglaublichen medizinischen Rätseln. Ich konnte viele lösen, auch wenn es ausweglos erschien. Ich musste mich aber auch beruflich weiterentwickeln, denn für private medizinische Recherchen wollte ich kein Geld annehmen. Zwischendurch habe ich verzweifelten Menschen aber immer wieder geholfen, so dass es sich zu einem „Hobby“ entwickelte – ein Hobby deshalb, weil ich sehr gerne mache.
Seit ein paar Monaten habe ich wieder intensiver mit meinem Hobby begonnen, denn auch die KI hat sich weiterentwickelt und es gehört inzwischen zu meinem Beruf. Die heutigen Möglichkeiten durch „Big Data“ sind erstaunlich und faszinierend zugleich. Daher versuchte ich, aus meinem privaten Umfeld eine Handvoll ungelöster Fälle zu bearbeiten. Ich suchte in meiner Freizeit auch bei „Researchgate“, eine Art „Facebook“ für die Wissenschaft, nach unlösbaren Rätseln. Über Umwege bin ich bei MCAS Hope gelandet und freue mich sehr darüber.
MCAS Hope e.V.: Was ist aus dem Kontakt zur UCLA und zur „Bighamton University“ in New York geworden?
Herr Prof. Buchkremer: Ich pflege immer noch sehr gute Kontakte zu Professor Brinker. Ein weiterer Kollege aus der damaligen Zeit, mit dem ich vier Jahre lang Tür an Tür gearbeitet habe, Stanley Whittingham, hat im Jahr 2019 den Nobelpreis für Chemie bekommen. Er ist der Erfinder der Lithium-Ionen-Batterie. Ein wenig bin ich stolz darauf, dass ich in Binghamton arbeiten durfte und die Computer-Kenntnisse wende ich heute noch an. Den Bezug zur Medizin habe ich auch nicht verloren – zum Glück unterstützt mich die FOM bei meinen Vorhaben.
MCAS Hope e.V.: Wie sind Sie denn zur FOM gekommen und welche Tätigkeit üben Sie dort aus?
Prof. Buchkremer: Wie so schön gesagt wird, flog ich in dem Healthcare-Konzern die Treppe hinauf und war nach relativ kurzer Zeit für die gesamte IT im Unternehmen verantwortlich. Mein Leben war geprägt durch Besprechungen und Flugreisen, aber ich verlor nie den Draht zur Forschung. Zwei Jahre lang arbeitete ich an der Universität von St. Gallen und später auch als Professor an der HTW Chur an der italienischen Grenze zur Schweiz.
Ich bekam einen Ruf von der FOM Hochschule für Oekonomie und Management nach Essen und damit ging es wieder zurück in meine Heimat. Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets und mir bedeutet die Nähe zu Verwandten und Freunden sehr viel. Insbesondere in den USA vermisste ich die Kontakte sehr.
Und an der FOM bin ich nun seit etwa zehn Jahren in der Lehre und in der Forschung aktiv. Seit etwa drei Jahren geht beides los, wie eine Rakete. Inzwischen sind wir etwa 50 Personen im ifid-Institut und unser Hauptforschungsgebiet ist die Künstliche Intelligenz. Gemessen an Fachpublikationen gehören wir nach meiner Einschätzung bereits zu den erfolgreichsten KI-Instituten weltweit.
Es fehlte aber noch der Bezug zur Medizin. Daher suchte ich Kontakte zu Kliniken. Über die Patienten klappte das dann auch. Der Vorschlag, die Ärzte Dr. Panse und Dr. Siebenhaar ins Boot zu holen, stammt vom MCAS Hope e. V.
MCAS Hope e.V.: Haben Sie schon Ärzte getroffen, die Ihnen und Ihrer Arbeit gegenüber ablehnend oder skeptisch waren? – denn ggfs. kommen Sie ja schneller zu einem Ergebnis als ein Arzt.
Prof. Buchkremer: Ich möchte darauf hinweisen, dass ich keine ärztlichen Ratschläge gebe. Die Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten ist elementar wichtig.
Insgesamt betrachtet, erfahre ich selten Ablehnung, sondern eher Ignoranz. Viele Medizinerinnen und Mediziner sagen, dass sie es toll finden, was ich mache, aber die meisten möchten nicht wirklich wissen, wie es geht. Es sind die Patienten, denen ich helfen möchte und die ermuntern die Ärzte oder wechseln sie, falls sie nicht kooperieren möchten.
MCAS Hope e.V.: Zu den positiven Fällen zählt auch die Zusammenarbeit mit MCAS Hope, richtig?
Prof. Buchkremer: Oh ja, MCAS Hope ist eine besondere Herausforderung, weil wir hier eine ganze Patientengruppe haben. Und ich wollte immer schon ein Team bilden. Ich bin daher sehr erfreut über die Zusammensetzung unseres Teams. Mit Herrn Dr. Panse von der Uniklinik RWTH Aachen und Herrn Dr. Siebenhaar von der Charité ist es Ihnen gelungen, nicht nur ausgezeichnete Mediziner mit in die Magellan Studie einzubeziehen, sondern es ist phantastisch, wie aufgeschlossen sie gegenüber der Unterstützung durch KI sind. So ergänzen wir uns perfekt. Und wir haben nicht nur eine/n Patient/in, sondern sehr viele mit ähnlichen Symptomen.
MCAS Hope e.V.: Erlauben Sie mir bitte noch eine letzte Frage. Was hat Sie dazu bewegt, den MCAS Hope e.V. mit all Ihrem Wissen und dem Ihrer Studenten, über einen langen Zeitraum begleiten und unterstützen zu wollen?
Prof. Buchkremer: Für meinen Unterricht im Master-Studiengang „Big Data & Business Analytics“ an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management suchte ich gerade nach einem Projekt für ein Big-Data-Praxisseminar. Da kam die Anfrage gerade recht.
Nachdem ich mich eingehender mit MCAS beschäftigt hatte, erkannte ich eine enorme Herausforderung. Die Tatsache, dass viele PatientInnen und Patienten extrem unter dieser Krankheit leiden, spornt mich an, nach Lösungen zu suchen.
Inzwischen habe ich erkannt, dass MCAS äußerst komplex ist. So komplex, dass wir es nicht in kurzer Zeit lösen werden. Daher möchten wir ein langfristiges Projekt daraus machen und Dr. Panse und Dr. Siebenhaar sehen das ähnlich.
Aktuell sind wir dabei, eine Big-Data-MCAS-Patientendatenbank zu erstellen, natürlich unter Berücksichtigung der aktuellen Datenschutz- und Ethikvorgaben. Sowohl für die Diagnose als auch für die Therapie suchen wir nach differenzierteren Lösungen.
Und vielleicht finden wir neue Erkenntnisse, die wir dann publizieren können, denn das ist ein weiteres Hobby, welches damals in New York begann. Meine damaligen Forschungsergebnisse wurden in einer sehr angesehenen Fachzeitschrift veröffentlicht. Seit etwa drei Jahren publiziere ich wieder und ich bin auf einem guten Weg, an die damaligen Erfolge anknüpfen zu können, vielleicht demnächst auch mit MCAS Hope.
MACS Hope e.V.: Vielen Dank! Wir freuen uns riesig, dass Sie uns so unheimlich helfen und unterstützen. Uns macht die Zusammenarbeit großen Spaß und sie vermittelt Hoffnung. Wir gehen davon aus, dass wir nach Ende der Studie genug Daten gesammelt haben werden, um dafür zu sorgen, dass die Erkrankung “Mastzellaktivierungssyndrom” anerkannt wird. Wir erhoffen uns ein umfassenderes Wissen über unsere Krankheit und einen eigenstänndigen ICD-10-Code. Wir sind davon überzeugt, dass wir diese Ziele erreichen werden.