MCAS wahrgenommen durch die Brille eines guten Freundes

15 Jun 2020

Liebe Leser*Innen,

es ist mir ein großes Bedürfnis, einen Bericht zu verfassen, als guter Freund einer MCAS Patientin, namens Johannna.
Vielleicht ist es auch meine Art und Weise, dass zu verarbeiten, was mich seit dem Treffen mit meiner längsten und besten Freundin Johanna nicht mehr los lässt. Ich kenne sie seitdem wir 14 Jahre alt sind, also 30 Jahre und auch wenn wir uns länger nicht gesehen haben, war nie eine Hürde zwischen uns, sondern es war so, als hätten wir uns gestern noch gesehen. Ein sehr vertrautes Verhältnis.

Der Besuch ist nun 14 Tage her und ich bin immer noch befangen und denke täglich an sie und Ihre Erkrankung, es hängt mir regelrecht in den Knochen und in meinen Gedanken.

Ich bin erschrocken, erschüttert und unendlich betroffen, einen so fröhlichen,lebensbejahenden und  attraktiven Menschen so gesehen zu haben. Nichts erscheint mehr so,wie es mal war.
Johanna und ich hatten uns lange Zeit nicht gesehen, bestimmt 6 Jahre. Wir telefonieren ab und an, schrieben und natürlich „wusste“ ich um Ihre Erkrankung – dachte ich. Tatsächlich wusste ich nichts…
Nun war es an der Zeit, das ich sie besuchen wollte und das tat ich auch. Sie bat mich im Vorhinein ohne Parfüm zu kommen, den Gefallen tat ich Ihr gerne. (auch wenn ich das zu diesem Zeitpunkt noch etwas „seltsam“ fand).
Schon als Johanna mir die Tür öffnete, verschlug es mir die Sprache und spontan schossen mir die Tränen in die Augen.
Ein völlig anderer Mensch (körperlich fast gebrochen) stand vor mir, gezeichnet von der Krankheit MCAS, bemüht so zu wirken wie immer. Mit einem fröhlichen Lächeln ließ sie mich herein und wir setzten uns an den Tisch. Ich war sprachlos… denn die vielen Medikamente, die sie täglich mit mäßigem Erfolg gegen Ihre Symptome nehmen muss, sah ich ihr an. Ihr Gesicht hat eine ganz andere Mimik bekommen, nicht mehr beseelt von Leichtigkeit, Freude und Lebenslust, sondern angestrengt von dem wohl täglichen Kampf um das Aushalten ihrer Symptome.
Tatsächlich hatte ich mir nicht vorstellen können, was es bedeutet an MCAS zu erkranken und wie sich diese Erkrankung auf die Betroffenen auswirkt, ebenso auf das gesamte private Umfeld.
Was das bedeutet, muss man wirklich erlebt haben, auch wenn es einem danach beschissen geht.

Wir redeten über vergangene Zeiten und hatten auch Spaß.
Ich kenne Johanna als absolute Power-Frau, die weiß was sie will. Sie liebt Menschen, Kinder und war immer voller Ideen und Tatendrang. Wir hatten früher unendlich Spaß miteinander.
Sie war sehr sportlich, fuhrt viel Mountainbike in der Natur, ging Joggen, traf Menschen.
Sie zieht einen tollen Jungen groß, ging Vollzeit arbeiten und studierte nebenher noch Betriebswirtschaft.
Wie sagte sie an unserem „Wiedersehens -Tag“ unter Tränen:“ die Johanna von damals gibt es nur noch im Herzen,der Rest ist weg.“ Ebenso die „Freunde“. 
Ich hatte mir kein Bild machen können, wie real diese Erkrankung das Leben der Betroffenen beschneidet, einengt und eine Lebensqualität zulässt, die kurz über der Grasnarbe endet.
Ich sagte zu Ihr: „Das alles würde ich nicht aushalten“. Sie entgegnete:“ Du hast ja nur zwei Möglichkeiten, entweder Du lernst damit zu leben, oder Du beendest Dein Leben.“
Diesen Satz überhaupt so zu formulieren und ihn auszusprechen, erzeugte bei mir noch etwas mehr Sinn für die Realität und verdeutlichte mir den enormen Leidensdruck, den sie und sicher andere schwer betroffene MCAS Patienten haben.

Johanna sagte, dass es noch nicht einmal das schlimmste sei, nur drei Lebensmittel recht sicher vertragen zu können und Leitungswasser zu trinken, dass schlimmste sind die dauerhaften Symptome, die einfach immer vorhanden sind und gegen die es keine wirksamen Medikamente gibt.
Weiter erklärte sie mir, als MCAS Patient hast Du mindestens immer ein Problem mehr.
Hat Dein Kind Läuse, musst Du diese nicht nur bekämpfen, sondern zeitgleich schauen, ob Du das Läusemittel überhaupt verträgst um Dein Kind damit zu behandeln ,geschweige denn Du müsstest es selber anwenden.
Infizierst Du Dich mit Corona, ist es fraglich, ob Du die ganzen Maßnahmen und Medikamente verträgst. Möglicherweise reagierst Du darauf so stark, dass diese nicht angewendet werden können. Als ich das Prinzip verstanden hatte, bekam ich ein Gefühl dazu, wie anstrengend ihr Leben sein muss und verstand,warum ihre leuchtenden Augen, viel müder und angestrengter sind als früher.

Ich habe viel gelernt an dem Tag und behaupte, dass dieser meinen Blick auf die Welt nachhaltig verändert hat.

  • materielle Dinge wie Kleidung, Autos und, und ,und sind absolut unwichtig
  • über das Telefon hinweg bekommt man kein klares Bild von dieser Erkrankung
  • wegen Corona nicht in den Sommerurlaub fahren zu können/wollen ist ein Luxusproblem
  • sich kümmern und da sein ist wichtig, auch wenn das ganz weit weg ist von Spaß
  • Gesundheit ist Alles – ohne Gesundheit ist alles nichts.

Was ich nicht verstehe ist die Tatsache, die Menschheit fliegt zum Mond und wieder zurück- und es gibt kein fucking Medikament gegen diese Scheiß-Erkrankung? Das will mir nicht in den Kopf. Ist denn Umsatz das einzige was zählt, liebe Pharmaindustrie?
Bei Corona seid Ihr fix,wollt alle einen Impfstoff entwickeln um Euch zu bereichern und NICHT nur um zu helfen. Muss es alles medienwirksam sein, liebe Politiker?

Hier gibt es eine Patienten-Gruppe, die eine Lebensqualität hat, wie ein tot getretener Regenwurm und es scheint weder das Bewusstsein noch das Interesse zu Helfen da zu sein.

Bitte entschuldigt meine Wortwahl, aber diese Hilflosigkeit macht mich wütend.

Beste Grüße,

Dennis

Hinweis: Wer mehr über Johanna und ihre Geschichte erfahren möchte, kann sie hier nachlesen: https://mcas-hope.de/geschichten-von-betroffenen/