Mastzellerkrankungen und Bewegung

15 Feb 2021

Die liebe Nina aus unserer Community hat sich vor einiger Zeit bereits hier auf unseren Social-Media-Kanälen – und auch hier auf unserer Homepage unter der Rubrik ‘Betroffenengeschichten’ – ausführlich vorgestellt. Vielleicht erinnert sich der ein oder andere sogar an sie und ihre Geschichte?! Heute hat Nina einen spannenden Blogartikel für euch. Denn trotz ihrer MCAS-Erkrankung und der Komorbidität, dem Ehlers-Danlos-Syndrom, ist für Nina Aufgeben mal so gar keine Option. Seit einiger Zeit zieht sie viel Kraft aus täglichen kleineren – oder größeren – Bewegungseinheiten. Ob Gehen, Yoga oder Schwimmen… Dabei hat Nina für euch interessante Beobachtungen, Fakten aus der Wissenschaft und hilfreiche Tipps & Tricks aufgeführt. Denn: In ihrem Artikel geht es keineswegs um sportliche Höhenflüge, sondern viel mehr um Spaß, eine positive Einstellung, Imagination und unser Körpergefühl. Lest doch mal rein:

Liebe Mastzellcommunity,

in diesem Beitrag geht es um das Thema Sport bzw Bewegung. Und bevor ihr innerlich losschreit: NEIN! DAS GEHT ABER NUN WIRKLICH NICHT! möchte ich euch etwas Wichtiges dazu erzählen.

Zu meiner Person: ich bin selber von MCAS und EDS (Ehlers Danlos Syndrom) betroffen. Das sind natürlich wie bei euch vermutlich auch, nicht die allerbesten Vorraussetzungen für einen sportlichen Höhenflug! 

Aber weißt Du was: die erste frohe Botschaft vorweg:Das muß es auch gar nicht sein !

Es kommt nicht darauf an, einen Marathon zu laufen oder wie meine engagierte Nachbarin: die übliche 5 km Feldrunde in 20 Minuten zu absolvieren.

Nein! Es kommt darauf an, 

1. in ganz kleinen Schritten loszulegen und 

2. eine Art von Bewegung zu finden, die Dir Spaß macht

3. eine positive Einstellung 

Dann schaffst du es auch, deine Bewegung nachhaltig in deinen Tagesablauf zu integrieren.

Wie schaffe ich es, mich zu motivieren? Und wie beginge ich?

Sport bzw überhaupt jede Form von Bewegung mit einer chronischen Krankheit im Gepäck ist keine einfache Sache. Du mußt täglich so viele Dinge bewältigen, da sollte Sport dich nicht noch zusätzlich belasten und vor allem stressen.

Durch chronische Schmerzen und anderen unliebsamen Symptomen, die unverhofft auftreten können,  leben wir in einem ständigen „Bedrohung-Modus“. Das Resultat davon ist ein Gehirn, welches ständig alles sehr kritisch beäugt. Daher ist es nicht leicht, diesem kleinen inneren Kritiker den Mund zu verbieten und alles „ich muss“ und „ ich sollte“ aus dem Vokabular zu streichen. Aber alles beginnt mit dem Bemerken der eigenen kritischen Stimme.

Machst du Sport, weil du deinem Körper etwas Gutes tun möchtest oder weil man sich bewegen muß?

Selbstmitgefühl

Ein Schlüssel zur eigenen Motivation ist auch eine Frage des Selbstmitgefühls.

Stelle Dir die Frage, was du einem lieben Freund raten würdest. Du würdest ihm vermutlich raten: Sei nicht so hart zu dir, achte auf Dich, pflege Dich, tue dir etwas Gutes!

Am besten, Du redest Dir gut zu:

1. Ich tue mein Bestes, um meinen Körper zu unterstützen.

Nicht: ich muß Sport machen, ansonsten verschlechtert sich meine Gesundheit.

2. jede Form von Bewegung ist heilsam für mich.

Nicht: ich muß besonders hart zu mir sein, sonst hilft es nicht.

3. Ich habe immer die Wahl: ich kann mich ausruhen, wenn mein Körper es braucht.

Nicht: ich muß jeden Tag Sport machen, sonst verbessert sich nichts.

Imagination

Vielleicht kennst Du es aus der Meditationspraxis: Gedankenreisen.Genauso wie du mit dieser Technik deinen Atem beruhigen oder deinen Herzschlag durch die Kraft deiner Gedanken beeinflussen kannst, genauso funktioniert es, sich zum Sport zu motivieren.

Stelle Dir so realistisch wie möglich vor, wie du z.B. die morgentliche Stille im Wald genießt, wie sich die frische Luft anfühlt , oder stelle dir das positive Gefühl vor, dass du es geschafft hast, dich zum Sport zu motivieren. 

Diese Imagination führt zu neuroplastischen Veränderungen im Gehirn – zu einem Belohnungsprozess. Unser Gehirn schüttet Boteschstoffe aus, die ein Gefühl des Wohlseins hervorrufen. das wiederum führt dazu, dass ich dieses Gefühl auch in Realität erleben möchte.

Stundenplan

Am einfachsten ist es für mich, mir einen Plan zu erstellen. Wo gehe ich hin? Wann? Wie lange? Diese willentliche Steuerung ist  zwar etwas mühsam, auf der anderen Seite ist solch ein Plan wunderbar. Du kannst überlegen, wo und wann Sport indeine Tagesablauf paßt. Es ist ein bißchen wie ein Stundenplan in der Schule, eine freundliche Aufforderung und ein kleiner Vertrag mit dir selber.

Ich habe meine kleine Bewegungseinheit nach meine morgentliche Meditation gelegt.

Überlege, was Dir gut tut. Ist es ein kleiner Spaziergang, etwas sanfte Yoga, einige Rückengymnastik-Einheiten oder schaffst du etwas mehr? 

Vor Corona ging ich zwei Mal pro Woche ins örtliche Hallenbad. Für mich war das perfekt: durch das Wasser wurden meine Gelenke nicht übermässig strapaziert, und ich konnte das Tempo und die Intensität des Ganzkörper-Trainings selber bestimmen und einteilen.

Finde deine Form von Bewegung und auf die Erlebnisse, die damit verknüft sind.

Fühl Dich gut! Fühle, wie dein ganzer Körper warm wird! Wie sich deine Atmung verändert. Fühle dich lebendig!

Hast du die Erlebnisse innerlich positiv verknüpft, kannst du sogar in absolut stressigen Situationen, diese Bilder als Anker sozusagen hervorrufen. 

Ich tue das oft, wenn ich mit einem Mastzellschub zu kämpfen habe oder in sehr stressigen Situationen. Dann denke ich an das wunderbare Gefühl, wie es sich anfühlt, wenn mein Körper durchs Wasser gleitet, wie die Wassertropfen vor meinen Augen glitzern und an das Gefühl, wie das Wasser an mir vorbeiströmt. 

Deine täglichen 5 Minuten

Wer sich vornimmt, mehr Bewegung in seinen Alltag zu integrieren, macht oft den Fehler: man möchte in zu kurzer Zeit zu viel!

Das funktioniert weder bei gesunden noch bei chronisch kranken Menschen gut.

Es belastet die Bänder, Sehnung, Muskeln und Kondition des eigenen Körpers. Und es hat zur Folge, dass sich sofort das Negativerlebnis einschleicht: Ich schaffe es nicht! Und damit ist unsere Ausgangsmotivation auch schon wieder dahin.

Planen wir dagegen täglich fünf Minuten für kleine Bewegungseinheiten ein, sind diese erstens leicht in den Alltag zu integrieren und zweitens stellt sich schnell ein gutes Gefühl ein.

Unser Gehirn ist nach einem einfachen Prinzip verschaltet: Alles wofür es gute Gefühle gab, gibt es den Stempel „wertvoll“ und wird in die Schublade „Will ich mehr“ gesteckt.

Gute Gefühle gibt es für Bedürfnisse und Hunger stillen, für alles was Spaß macht und für bei Bedrohung rechtzeitig wegzulaufen.

Dafür schüttet unser Gehirn schmerzlindernde, euphorisierende Endorphine aus. Sie geben uns ein Gefühl von Sinnhaftigkeit und Lebensfreude.

Damit nun auch Sport in diese „Schublade“ gesteckt werden kann, können wir unser Gehirn trainieren: wir müssen einen Kompromiss mit den verschiedenen Stimmen in unserem Kopf aushandeln. In unserem Kopf diskutieren sozusagen verschiedene „Stimmen“ bzw „ Charaktereigenschaften“ miteinander. Es gibt dort den Pessimisten, den Bequemen, die Vernunft, den Mutigen, und viele andere weitere, die uns sagen möchten, was wir tun und lassen sollen. Ein Kompromiss dieser miteinander konkurrierenden Stimmen könnte folgendermaßen aussehen: Erst eine kleine Bewegungseinheit, dann eine schöne Tasse Tee und ein Buch auf der Couch. 

So bekommst du das gute Gefühl: ich habe mich überwinden können und ich habe das gute Gefühl, für meinen Körper etwas getan zu haben.

Wenn du es nun weiterhin schaffst, deine tägliche kleine Bewegungseinheit , am besten immer zur gleichen Zeit, durchzuführen, wird diese zur Gewohnheit.

Und bei diesem Stichwort macht unser Gehirn sozusagen Luftsprünge!

Unser Gehirn liebt Automatismen, denn sie sparen Energie. 

Es lohnt sich daher, den mit sich selber ausgehandelten „Sport-Vertrag“ einige Wochen durchzuziehen. Am Ende etabliert er sich im besten Falle zur Gewohnheit. Hier schließt sich der Kreis: wir landen wieder bei der Belohnung. Allein die Tatsache, dass im nächsten Moment eine Gewohnheit (und unserem Gehirn ist es egal welche) durchgeführt wird, trägt die Belohnung in sich, sprich wird von unserem Gehirn in die Schulblade „will ich mehr“ gesteckt.

Na, wenn das mal keine frohe Botschaft ist!

Es gibt eine Sache, die das ganze schöne System zusammen fallen läßt: Stress!

Sobald unsere Psyche überlastet ist, greift es auf die ältesten Muster  bzw Gewohnheiten zurück und die heißen: rumhängen und Spaß haben. Daher gilt als oberste Regel: Sress vermeiden und abbauen.

Das funktioniert am allerbesten, wenn wir liebevoll und umsichtig mit uns selber umgehen. Selbstmitgefühl reduziert nachweislich Stress. Also: rede dir gut zu und freue dich, was du schon alles geschaft hast und vorhast.

Fakten aus der Wissenschaft

Zum Schluss ein paar Fakten aus der Wissenschaft, die dich ermutigen können:

Körperliche Bewegung ist die effektivste und vielseitigste Methode, den Tod hinauszuzögern und die wirkungsvollste Methode für gute Gesundheit.

Knoche und Gelenke, Organe und Gewebe werden gekräftigt. Körperzellen, die bei der Abwehr von Infekten oder Verdauungstätigkeiten helfen, werden durch Sport angeregt, schneller und effizienter zu funktionieren. 

Bewegung führt zur Reparatur von Veränderungen an Erbmolekül DNS. Bewegung fördert unsere Gedächtnisleistung, unser Lernvermögen und zu guter Letzt: Bewegung steigert die Lebensfreude und ist damit ein kostenloses, nebenwirkungsfreies Antidepressivum.

Muskelzellen und Körperzellen werden repariert und erneuert durch die Bewegung der Muskelzellen. Das Spiel der Muskeln sorgt ausserdem für die Stärkung der Faszien, der Kollagenstrukturen. Und das stärkt und stabilisiert wiederum unsere Gelenke.

Zusätzlich sorgt der Bewegungsreiz dafür, dass Botenstoffe ausgesandt werden, die einen Prozess anstossen, der schmerzende Gelenke und rheumatische Entzündungen lindert.

Bewegung an der frischen Luft versorgt uns ausserdem mit dem für uns so wichtigen Vitamin D.

Na, wenn das nicht mal eine positiv Liste ist! Aber das Wichtigste: genieße die Zeit mit dir und deinem Körper!

Einige praktische Tipps

Aus der Physiotherapie für meine Grunderkrankung Ehlers Danlos Syndrom und MCAS habe ich etwas Essentielles gelernt: 

  1. Steigere Deine Bewegungen ganz langsam, ansonsten wirst Du Dich schlechter fühlen. 
  2. Für einen Trainingeffekt ist es sinnvoller eine Bekannte, geübte Bewegung öfter zu wiederholen , als ihre Intensität zu steigern. 
  3. ( ein einfaches Beispiel: gehe lieber täglich 30 Minuten spazieren als einmal 3 Stunden)

Bist du bettlägerig oder sehr schwer und wenig belastbar, kannst Du mit einfachen Aufsitzübungen, Dehnübungen, Bein-Ups, Kissenquetsch-Übungen beginnen. 

Als nächstes schaffst Du es vielleicht kleine Spaziergänge einzubauen. 

Ein toller Tipp ( insbesondere für Patienten mit Dysautonomien) ist es, während der Wachstunden tagsüber in aufrechter Haltung zu bleiben. Längeres Liegen tagsüber führt oft zu Kreislaufproblemen und beeinträchtigt die Kondition. 

Ziel sollte es sein, täglich ca 45 Minuten Sport zu treiben. Dabei sollten Ausdauer und Kraft in einem ähnlichen Verhältnis trainiert werden. 

Schwimmen

Schwimmen ist bei Gelenkbeschwerden jeglicher Art definitiv eine der besten Sportarten. Der Druck des umgebenden Wassers reduziert orthostatische Probleme. Aus diesem Grund fällt es MCAS/POTS und EDS Patienten leichter, im Wasser zu stehen. 

Ich fühle mich im Wasser so viel normaler und lebendiger. 

Es gibt einige Untersuchungen, die darauf hinweisen, Chor aus Schwimmbädern „ parasymathische Dysautonomie und eine erhöhte Reaktion auf inhalierte Beta-2-Agonisten verursachen kann, was zu einer erhöhten Funktionsstörung der glatten Muskulatur der Atemwege und einer neurogenen Entzündung führt. Die Studie besagt aber auch, dass sich diese subtilen Effekte nach Beendigung des Schwimmtrainings wieder umzukehren scheinen. Reagierst Du jedoch empfindlich, berücksichtige dieses. 

Yoga 

Einige Ärzte werden sicherlich Yoga empfehlen. Aber dies kann viel zu viel für Dich sein. Die schnell wechselnden Haltungen, Asanas genannt, können Blutdruck-Schwankungen verursachen. 

Ich habe für mich eine einfache Rücken und Ganzkörper Yoga Übung ( von Mady Morrison ) entdeckt, welche mir gut tut, mich sanft dehnt und kräftigt und meinen Körper nicht überlastet. 

Gehen

Gehen ist etwas, was die meisten gesunden Menschen für selbstverständlich halten. Einfaches Gehen ist großartig, um Deine Knochengesundheit zu erhalten. Ostheoporose tritt leider bei Menschen mit MCAS häufig auf, daher ist die tägliche Belastung von Knochen, Wirbeln und Gelenken dringend erforderlich. 

Bedenke, selbst, was wir ein Spaziergang aussieht, kann für die allerfeinstes Cardiotraining bedeuten. Der Vorteil des Gehens: Du kannst so langsam oder so schnell gehen wie Du möchtest und wie es Dir gut tut.

Ich kann jetzt an den meisten Tagen 30-45 Minuten schneller gehen und an guten Stegen sogar 15 Minuten langsam joggen.

Alle Arten von Bewegung zählen und sind wunderbar für Dich und Deinen Körper. Nimm einfach mit, was Du kannst, und genieße es!!